Die Kommunikation mit mehreren Adressaten ist unter linguistischen, medienwissenschaftlichen oder politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten insofern von Interesse und Brisanz, als eine solche Mehrfachadressierung zu einer qualitativen Ver nderung der gesamten Kommunikationssituation f hrt und adressatenspezifische Polyvalenzen nach sich zieht: Ein und derselben u erung lassen sich in bezug auf ihren pragmatischen Gehalt adressatenspezifisch unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben.
Im ersten Hauptteil der Arbeit geht es um eine Differenzierung des Adressatenbegriffs. Im Anschlu an eine kritische Diskussion der Adressatenproblematik in der linguistischen, medienwissenschaftlichen und handlungstheoretischen Forschung werden auf der Basis eines beschreibungsabh ngigen Adressatenbegriffs Idealformen von Mehrfachadressierungen herausgearbeitet: Am Beispiel von Parlamentsdebatten, politischen Reden und Presseberichten werden absichtliche, in Kauf genommene und unabsichtliche Adressierungen mit mehreren Kommunikationspartnern analysiert und unterschieden. Durch die Unterscheidung von Adressierungsformen (z.B. angesprochener Adressat) und Adressierungsarten (z.B. gemeinter Adressat) lassen sich zudem eine Reihe adressatenspezifischer Kommunikationskonstellationen unterscheiden: offene und verdeckte sowie kodierte und inszenierte Mehrfachadressierungen. Diese werden an einer Vielzahl unterschiedlicher Texte (Arbeitszeugnisse, Schulzeugnisse, Beschwerderituale, Kleinanzeigen, Beipackzettel, Reisekataloge, politische Reden, Parlamentsreden, Kompromi formeln) illustriert.
Im zweiten Hauptteil der Arbeit werden routinehafte Verhaltensweisen in der parlamentarischen Debatte (Zwischenrufe, Zwischenfragen, Parlamentsreden) als Modellf lle mehrfachadressierten Sprachhandelns analysiert. Mehrfachadressierungen lassen sich dabei auf der gespr chsorganisatorischen, thematischen und textsortenspezifischen Ebene festmachen und beschreiben. Unter dem Aspekt der Mehrfachadressierung und Inszeniertheit k nnen dabei auch die bisherigen parlamentarischen Reformvorschl ge kritisch eingesch tzt werden. Sie gehen am eigentlichen Problem vorbei und tragen nur zur Verst rkung und Zementierung des Diskussions-Mythos und damit zu einer Fortschreibung der von der Aufkl rung herkommenden bildungsb rgerlichen Illusion von politischem Handeln bei.